Christina Sauer | Druckgrafik

TEXTE

ÜBER MEINE ARBEITSWEISE

Auch wenn die Technik der Druckgrafik es quasi vorgibt, Auflagen zu produzieren, lege ich meinen Schwerpunkt mit nur wenigen Ausnahmen auf die Umsetzung von kleinen Serien bzw. Unikaten / Monoprints. Der Hochdruck ist dabei mein bevorzugtes Ausdrucksmedium. Die Bandbreite reicht hier vom klassischen Farbholzschnitt von strukturlosem MDF-Material über Monotypie bis hin zum Materialdruck von Naturgewachsenem. Vorzugsweise finden dabei Baumscheiben als Druckstock Verwendung, deren Ursprungsland – bedingt durch meine skandinavischen Wurzeln – Schweden ist. Auch Wildblumen des Wegesrandes kommen im Druckprozess zum Einsatz. Experimentierfreude, künstlerisches Denken und Konzeption treffen im fertigen Druck zusammen. Häufig stehen monochrome Farbflächen im Dialog mit spannungsreich strukturierten Bildbereichen. Das Spiel mit Verdichtungen grafischer Strukturen und Elemente [abgedruckt über die Druckpresse oder auch im Handabzug] ist das, was mich am meisten reizt.


„DRUCKFRISCH III – UNTER ANDEREN UMSTÄNDEN“ [E]  |  KULTURSPEICHER DÖRENTHE

EINFÜHRUNGSREDE | VERNISSAGE 14. AUGUST 2015

Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es Ihnen heute erging, als sie in diese Räume kamen und die Kunst von Christina Sauer darin sahen. Ein bisschen war ich schon „vorgewarnt“. Ich war zwar beim Aufbau Ende letzter Woche nicht dabei, aber die Künstlerin hat mir Fotos gemailt von der fertigen Ausstellung. Ein ganz wichtiger Eindruck drängte sich mir sofort auf: Wie gut doch ihre Kunst zu den Färbungen der Wände und vor allem zu den Stützen des ehemaligen Speichergebäudes passen. Damit sind wir bereits mitten in der Kunst von Christina Sauer, die sie von Anfang ganz stringent verfolgt hat.

Frau Sauer arbeitet abstrakt und häufig in der Gegenüberstellung und direkten Konfrontation strukturierter Flächen zu monochromen Feldern. Sie druckt auf dünnen MDF-Platten, die – anders als gewachsene Holzplatten – keine natürlichen Linien, Maserungen oder gar Höhlungen aufweisen. Neutral und strukturlos sind diese Platten. Mit ihrer Mischtechnik aus Holzschnitt, Monotypie, dem Auflegen von Schablonen oder formalen Elementen beim Druck und manchmal sogar der manuellen Nachbearbeitung, gibt sie den Platten im Druck die entsprechende künstlerische Struktur, die ihre Kunst auszeichnen und jederzeit wiedererkennbar machen. Langweilig wird es dabei nie, denn immer wieder erfindet sie neue Formen, spielt mit Farben, kombiniert immer anders, fügt hier und da sogar Buchstaben ein. Es ist ein Endlosprozess der Bildfindung, der nur so aus ihr herauszusprudeln scheint. Daran hat sich nichts geändert, seitdem ich Frau Sauer und ihrer Kunst zum ersten Mal begegnet bin. Das war 2002 in Metelen, als sie auf Einladung der Kulturinitiative Metelen in der Sparkasse des Ortes ausstellen durfte. Damals war sie 26 Jahre jung, frisch diplomierte Designerin der Fachhochschule Münster, noch nicht verheiratet und noch nicht Mutter zweier Töchter. Bei Professor Wolfgang Troschke hatte sie ihre Diplomarbeit geschrieben. Kurz zuvor erhielt sie das Auslandsstipendium der Aldegrever-Gesellschaft in Münster, womit ein Aufenthalt im Künstlerhaus in Svolvær auf den Lofoten in Norwegen verbunden war.

Heute, 13 Jahre später, hat sie eine zauberhafte Familie gegründet, wurde in Ibbenbüren sesshaft und hat sich nicht nur in der Region einen ganz wichtigen Platz in der Kunstszene der Gegenwart erobert. Sie ist Mitglied im Welbergener Kreis und im KünstlerinnenForum MünsterLand. Dennoch kocht sie künstlerisch ein eigenes Süppchen, wenn ich das einmal so lässig ausdrücken darf. Eigenständigkeit, Beständigkeit, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit hat sie schon vor 13 Jahren besessen. Mittlerweile haben sich diese Eigenschaften zu einer Qualität entwickelt, die ihre Kunst auch einzigartig macht. Der oberflächliche Betrachter sieht das wahrscheinlich nicht so. Er befindet sich in guter Gesellschaft zu den Kritikern, die 1915 das Gemälde „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ von Kasimir Malewitsch als das Ende der Malerei beklagten. Damals ging ein Aufschrei durch die Kunstwelt, den wir heute nur zu gut kennen. Zu einfach, zu unkompliziert, zu nachvollziehbar – das ist unsere Sicht heute auf das revolutionäre Bild von Malewitsch vor exakt 100 Jahren. Dennoch ist es eine Ikone der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts geworden. Damals war der nüchterne, abstrakt-geometrische Stil ein absolutes Novum. 1912 hatte Wassilij Kandinsky das erste abstrakte Aquarell geschaffen. Es hatte nichts mit der strengen Geometrie seines Landsmannes Malewitsch zu tun. 1912 bzw. 1915 war eine Zeit, als der Impressionismus in Deutschland noch nicht so richtig verdaut worden war. Es war eine Zeit, als der Kubismus in Frankreich in vollster Blüte stand, während der Expressionismus in Deutschland durch den Ersten Weltkrieg buchstäblich in die zweite Runde geschubst wurde. Malewitsch´ Gemälde besiegelte nicht das Ende der Malerei, wie wir heute wissen. Es war so, als wenn er mit diesem Bild die malerische Entwicklung der Jahrhunderte davor auf den Nullpunkt setzte. Man war nachdenklich geworden. Die Künstler reflektierten über Sinn und Nutzen ihrer Kunst in der Gesellschaft. Stilistisch und inhaltlich ist dieser Gedankenumschwung bis heute spürbar. Und dennoch die ketzerische Frage: Was ist heute 100 Jahre später? Heute erdrückt uns die Bilder- und Informationsflut. Wir leben in einer Gesellschaft, die durch die zahlreichen Medien, durch virtuelle Netzwerke und Plattformen an dem Syndrom der Reizüberflutung leidet. Ein Medikament oder ein Arzt helfen nicht dagegen, sondern jeder ist sein eigener Heilpädagoge. Kunst kann beruhigen, Kunst kann aber auch aufrütteln.

Frau Sauer ist nicht der Typ von Künstlerin, die durch schreiende oder schrille Aktionen auf sich und ihre Kunst aufmerksam macht. Ihre Kunst vermittelt die Konstante der Wiedererkennung. Ihre Kunst beruhigt, lädt zum meditativen Betrachten ein und fordert dadurch den ganzen Menschen. Titel vermeidet sie weitgehend, denn sie möchte nicht die Sicht des Betrachters durch einen Titel manipulieren. Ich habe es immer als sehr spannend empfunden, die Entwicklung von Frau Sauer und ihrer Kunst seit unserer ersten Begegnung zu verfolgen. „Druckfrisch III“ im Titel dieser Ausstellung signalisiert bereits, dass es Vorläufer gab. 2005 fand die Ausstellung „Druckfrisch I“ im historischen Haus Westerhoff in Bad Bentheim statt. 2011 folgte „Druckfrisch II“ im Kommunikationszentrum der Kreissparkasse Steinfurt in Burgsteinfurt. Für beide Vorläuferausstellungen hatte sie mich mit der Einführung beauftragt. Jetzt stehen wir mitten in der dritten Druckfrisch-Ausstellung, die den Zusatz erfahren hat „unter anderen Umständen“. Es waren wirklich andere Umstände. Als Hochschwangere hat sie viele der Arbeiten, die sie hier sehen, ganz neu geschaffen. Große, sperrige MDF-Platten zu tragen, war im Verlauf der Schwangerschaft immer schwieriger geworden. Da Frau Sauer in ihren Techniken schon immer experimentierfreudig und erfindungsreich war, kam sie auf die Idee, Graupappen als Druckstöcke zu benutzen. Frau Sauer hat immer nur in kleinen Auflagen gedruckt, wobei fast jeder Druck durch die Mischtechniken zum Unikat wurde. Graupappen als Druckstock lassen noch weniger Abzüge zu. Dafür entwickeln sie während der Bearbeitung eine eigene Dynamik. Fasern, die sich während des Drucks abgelöst haben, hat sie beim nächsten Druckvorgang mitgedruckt. Es entsteht optisch und praktisch ein Gemisch aus künstlerischer Bearbeitung und materieller Auflösung. Die Begegnung von älteren Arbeiten mit brandneuen Werken ist ein Prinzip der Serie der Druckfrisch-Ausstellungen. Viele kleinformatige Arbeiten hängen neben mehrteiligen, großen Werken. Immer wieder entdeckt der Betrachter auch den Abdruck von Baumscheiben, die den Eindruck der puren Abstraktheit aufheben. Sie sind greifbare Spuren der Verbundenheit zur Natur und der Treue zu Schweden, denn Frau Sauers Mutter stammt aus Schweden. „Ich arbeite nur mit schwedischen Hölzern, meist Tanne oder Kiefer“, verriet mir Frau Sauer. In der Ausstellung sehen sie Grafiken, in denen sie eine schwedische Tanne als Druckstock verwendet hat. Die Tanne ist exakt 76 Jahre alt geworden. Es ist eine bewusste Analogie zum Geburtsjahr der Künstlerin, die 1976 in Osnabrück geboren wurde. Vor die Grafik, die deutlich die Zahl „76“ zeigt, hat sie ihre jüngsten schwedischen Wurzeln ausgestellt.

Als Frau Sauer mit ihrer Familie vor fünf Wochen im Sommerhaus der Familie mitten in der Natur Schwedens Urlaub gemacht hat, hat ihr Mann Swen diese Wurzeln am Seeufer entdeckt. Bizarr und knorrig erscheinen sie. Frau Sauer weiß noch nicht, wie sie diese Wurzeln in ihre Kunst einbinden wird. Vielleicht wissen wir alle in einem halben Jahr mehr. Und noch etwas hat sie mir bei meinem Besuch in ihrem lichtdurchfluteten Atelier in Ibbenbüren vor wenigen Wochen verraten: „Als Schülerin habe ich schon eine Kollektion von Buchbindearbeiten entwickelt. Andere sind jobben gegangen, ich habe Buchobjekte gemacht.“ Buchbindemeisterin Ute Schiborra aus Tecklenburg hat der damals 14-Jährigen in einem VHS-Kurs weitere Tricks verraten. Bis zum Studium verwendete Frau Sauer marmoriertes Papier, welches Sie oftmals mit Tusche und Feder kalligrafisch verzierte. Danach kamen andere, eher grafische Muster zum Zuge – die ersten Vorläufer ihrer heutigen druckgrafischen Arbeiten. Mittlerweile hat Frau Sauer die Buchbindekunst perfektioniert und von der reinen Schönheit zu Kunstobjekten überführt. Regelmäßig hat sie sich in den letzten Jahren an der Internationalen Artist Book Triennale beteiligt. Kontakte zu litauischen Künstlern, die sie als Workshopleiterin in Kloster Bentlage in Rheine kennen lernte, haben diese Tür für sie ganz weit geöffnet. Einige Buchobjekte, die sie eingereicht hatte, sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. Es sind häufig Leporellos, auf denen Zeichnungen, Buchstaben, monochrome Flächen oder Drucke zu sehen sind. Stilistisch sind sie Spiegelbilder ihrer Druckgrafik.

Ganz neu sind die Bodenobjekte, die sie in dieser Ausstellung erstmals in dieser Form sehen. Es sind dünne MDF-Platten, die sie mittels Holzschnittwerkzeug zu Druckstöcken bearbeitet hat. Mit ihnen druckt sie auch. An zwei gegenüberliegenden Seiten sägte sie jeweils zwei längliche Schlitze ein, die im späteren Druckergebnis zum optischen Gestaltungsmittel und Bildelement der Grafiken werden. Nach dem Druckprozess hat sie die MDF-Platten nicht einfach gereinigt, sondern dauerhaft mittels Druckfarbe gefärbt – alle nicht druckenden und tiefer gelegenen Stellen schwarz, alle druckenden und erhabenen Stellen der Druckstöcke weiß. Mit Hilfe der Schlitze steckte sie die Platten zusammen. Das simple Baukastensystem ermöglicht es ihr, immer neue Skulpturen damit zu schaffen.

Zum Abschluss stellt sich die Frage, in welche Schublade Frau Sauer und ihre Kunst eigentlich passt. Reine Grafikerin ist sie längst nicht mehr durch die technischen Mischformen. Reine Buchbinderin ist sie ebenfalls nicht mehr, weil sie ihre Bücher zu Skulpturen und Kunstobjekten umformt. Sie sind also keine Bücher mit einem schönen Einband, in denen man Texte lesen kann. Bezeichnet man die Bodenobjekte aus Druckplatten als Skulpturen, wäre sie im besten Sinne Bildhauerin. Gattungsbegriffe dieser Art sind schon lange nicht mehr eindeutig definiert in der modernen Kunst. Wie wird sich ihre Kunst also weiterentwickeln? Das kann ich Ihnen auch nicht beantworten. Bleiben Sie also der Kunst von Frau Sauer treu, beobachten Sie ihre weitere Entwicklung. Ich werde es auf alle Fälle so halten.

Vielen Dank und schöne Gespräche mit der Künstlerin und über ihre Kunst!

[Kunsthistorikerin, Elvira Meisel-Kemper]